From: Me

To: You

Object: My Love Letter

„Alles, was ich über das Schreiben weiß, hab’ ich vom Leben gelernt. Und von mir.“ 

Susanne Kaloff


Manche Entscheidungen trifft man nicht, weil der Verstand einem etwas ins Ohr diktiert hat, nicht, weil es klug ist oder Sinn macht, sondern weil man keine andere Wahl hat. Ich fing mit dem Schreiben an, nachdem ich meine goldenen, bis zum Bauch reichenden Haare von heute auf morgen mit einer Nagelschere abgeschnitten hatte und mein Vater gegangen war. Zwischen diesen beiden Ereignissen gab es keinen Zusammenhang, außer, dass sie beide von Verlust handelten. Es war Weihnachten 1982, ich hatte nun eine fragwürdige Kurzhaarfrisur, Brüste, keine Kindheit mehr und Angst. Und ein in altrosa Blümchenstoff gebundenes Tagebuch, das mir meine Schwester Ali geschenkt hatte. Wir teilten uns ein Zimmer, in der Mitte getrennt durch ein Billy Regal. Unsere Gedanken teilten wir immer seltener. Von dem Abend an schrieb ich und hörte nie mehr auf. Weder wenn ich was zu lachen, noch wenn ich was zu weinen hatte. Ich dachte nicht darüber nach, ob jemals jemand meine wirren Wörter lesen würde oder sie veröffentlicht würden.

Ich schrieb, um dem Leben und mir näher zu kommen, so nah, dass sie mir beide nicht entkommen können. Um die Welt zu begreifen, das Chaos zu organisieren und manchmal einfach nur, um nicht durchzudrehen. Schreiben ist eine sichere Höhle, in die man kriechen kann, in der man Zuflucht, Trost, Abgründe und Einsichten findet. Das schreibende Herz existiert parallel, es beobachtet, es durchdringt, es untersucht, es absorbiert, es schweigt, es schläft. Manchmal Jahre lang, manchmal ein Leben lang. Und manchmal wacht es auf, dann muss man da sein, ihm einen Tee kochen, es mit allen Mitteln wachhalten, ihm zuhören, es vollquatschen, sich einander vorstellen, ineinander verlieben, und fragen: Hey, wo warst Du nur so lange?